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Mangelnde musikalische Qualifikation der Grundschullehrkräfte?

Der BMU positioniert sich

In einer Stellungnahme kritisiert der Bundesverband Musikunterricht (BMU) die personelle Ausgestaltung des Grundschul-Musikunterrichts: Fehlende Fachkräfte und ein Mangel an hinreichender Nachqualifizierung fachfremder Lehrerinnen und Lehrer seien an der Tagesordnung – und das sei nicht hinnehmbar. Wir befragten Georg Biegholdt, Vizepräsident, zu Entstehung, Hintergründen und Forderungen des Papiers.

Musiklehrkraft Grundschule
Qualifizierung von Musiklehrkräften für die Grundschule ©contrastwerkstatt - stock.adobe.com
  • Praxiswissen
  • Schuljahr 1-4
Thema Didaktik & Methodik Autor/in Maren Sauer Veröffentlicht 03.02.2021

Redaktion Grundschule Musik: Was motivierte die Akteure des Verbandes konkret zu dem Papier: Musikalische Bildung in der Grundschule: BMU-Position zur inhaltlichen und personellen Ausgestaltung des Musikunterrichts an der Grundschule?

Georg Biegholdt: „Wenn in der Gesellschaft über Musikunterricht debattiert wird, meinen die meisten den, an den sie sich erinnern – und das ist in der Regel nicht der Musikunterricht der Grundschule. Hier aber werden entscheidende Grundlagen gelegt für weiterführende freudvolle Auseinandersetzung mit Musik über das tägliche Nebenbeihören hinaus. Die schlechte personelle Ausstattung des Musikunterrichtes in der Schule (und eine Besserung zeichnet sich derzeit nicht ab) ist absolut kontraproduktiv. Dort wo kein oder kein vom Fachmann bzw. von der Fachfrau erteilter Musikunterricht stattfindet, werden die Kinder schlicht um Entwicklungschancen betrogen.“

Redaktion Grundschule Musik: Wer ist an einem Positionspapier beteiligt und entwirft dieses schließlich?

Georg Biegholdt: „Die Erarbeitung des Positionspapiers wurde im Herbst 2018 beschlossen. Als dem Grundschulfachmann im Bundesvorstand fiel mir die Aufgabe zu, dies zu koordinieren und zu moderieren. Einen ersten Entwurf schickte ich an ca. 10 Grundschulspezialisten in den Landesvorständen des BMU: FachlehrerInnen, SeminarleiterInnen, FachberaterInnen, ProfessorInnen… Sie alle machten Korrektur-, Ergänzungs- oder auch Streichungsvorschläge. Im Laufe weniger Monate entstand so ein Entwurf, mit dem sich zunächst der Bundesvorstand befasste, bevor er dann an alle Landevorstände ging. Von diesen kamen dann noch einmal Hinweise, die vor allem länderspezifische Besonderheiten aufgriffen – schließlich sollte bei aller Unterschiedlichkeit ein Papier entstehen, welches bundesweit gültig ist. Nachdem dann alles eingearbeitet war, gab es eine Schlussredaktion und der Bundesvorstand verabschiedete das Papier. Die Erarbeitung hat also ein knappes Jahr gedauert, beteiligt waren geschätzt über 100 Personen.“

Redaktion Grundschule Musik: Haben Sie Rückmeldungen von Seiten der Politik, die Sie offensichtlich adressierten, bekommen?

Georg Biegholdt: „Da Bildungspolitik Ländersache ist, kommen Rückmeldungen aus dieser Richtung eher bei den Landesverbänden als bei uns im Bundesvorstand an. Wir haben viel positives Echo aus unseren Partnerverbänden auf Bundesebene erfahren. Es ist auch nicht so, dass man jetzt so ein Papier ans Kultusministerium schickt und alles wird gut. Man muss immer im Gespräch bleiben, und da kann das Positionspapier eine wertvolle Argumentationshilfe sein. Hier werden nicht einfach mal ein paar Argumente in den Raum geworfen, sondern hier gibt es eine fundierte fachliche Stellungnahme des BMU – immerhin ein Verband, dem bundesweit über 5000 Musiklehrerinnen und Musiklehrer angehören.“

Redaktion Grundschule Musik: Auf welche Informationen/Zahlen berufen Sie sich mit dem Hinweis auf „eklatanten Mangel an Musiklehrkräften“ bzw. mit der Aussage, dass „die Anzahl der gegenwärtig das Fach Musik Studierenden auch bei Anwendung des Fachlehrerprinzips nicht aus[reiche], um in absehbarer Zeit die Lücken zu füllen“?

Georg Biegholdt: „Zahlen sind immer ein Problem. Seit vielen Jahren geistern die 80% fachfremd erteilten oder ausfallenden Musikunterrichtes in der Grundschule durch die Medien. Wirklich gezählt hat natürlich keiner – bis jetzt. Eine im Auftrag des Deutschen Musikrates und der Konferenz der Landesmusikräte erstellte wissenschaftliche Studie der Berthelsmann-Stiftung steht wohl kurz vor der Veröffentlichung. Da der BMU gut vernetzt ist, kann man aber einige Dinge „auf kurzem Dienstweg“ in Erfahrung bringen. Und wenn man dann aktuelle Studierendenzahlen, die Anzahl der LehrerInnen im Referendariat und die zugänglichen Daten zu LehrerInnen (z.B. deren Altersstruktur) in einem Bundesland nebeneinanderlegt, dann werden die Lücken deutlich. Und FachberaterInnen, die aufgefordert sind fachfremd unterrichtenden KollegInnen unter die Arme zu greifen, kennen dadurch natürlich auch deren Zahlen…“


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Georg Biegholdt: „Die Meinungen über notwendiges oder wünschenswertes Rüstzeug gehen ganz schön auseinander. Im Grundschullehrerstudium an den Musikhochschulen in Dresden und Leipzig sind z.B. mindestens 25 Leistungspunkte zu studieren, um MusiklehrerIn an der Grundschule zu werden. Das entspricht 750 Stunden Workload. Wenn man der fachfremd unterrichtenden Lehrperson zwei Jahre einen Studientag pro Woche einräumen würde (als eine Möglichkeit), könnte an den lehrerbildenden Einrichtungen ein entsprechendes sinnvolles Angebot dazu unterbreitet werden. (Die Inhalte lassen sich sehr gut aus unserem Positionspapier ableiten.) Und das muss natürlich innerhalb der bezahlten Arbeitszeit passieren: Hier bilden sich LehrerInnen ja nicht aus purem Vergnügen weiter, sondern weil die Länder ihren Aufgaben nicht nachgekommen sind.

In manchen Ländern (z.B. Berlin) gibt es Qualifizierungsprogramme, die mit engagierten DozentInnen leisten, was nur geht – sie sind aber in der Regel von viel zu geringem zeitlichen Umfang und müssen von den LehrerInnen oft mehr oder weniger nebenbei absolviert werden.“

Redaktion Grundschule Musik: Könnte der BMU sich, mit entsprechender Förderung, verantwortlich zeigen, Konzepte zu entwickeln?

Georg Biegholdt: „Durchaus. Im BMU gibt es das fachliche Know-how, jede Menge Vernetzung und auch ein großes Interesse. In manchen Bundesländern wird das durchaus auch abgerufen. In anderen wird das Potential des Verbandes nicht wahrgenommen … oder es fehlt auch schlicht am Interesse: Schließlich geht es hier ja „nur“ um Musik und nicht um MINT-Fächer. Und wenn der zuständige Referent im Ministerium schlechte Erinnerungen an seinen eigenen Musikunterricht hat, fragt er sich schon mal, wozu man dafür aktiv werden sollte…“

Redaktion Grundschule Musik: Können Sie sich auch auf Aussagen fachfremd Unterrichtender stützen, die die mangelnden Qualifikationen im Fach Musik beklagen?

Georg Biegholdt: „Es gibt – etwas vereinfacht zusammengefasst – zwei Arten fachfremd Musik erteilender GrundschullehrerInnen: Die einen freuen sich, als KlassenleiterIn noch eine Stunde für Mathe, Deutsch oder Sachunterricht hinzuzubekommen, singen im besten Fall täglich ein Morgenlied und sind zufrieden. (Okay: Das ist sicher der Extremfall, aber es wird sicher klar, was ich meine.) Diese Lehrpersonen ersetzen – durchaus verantwortungsbewusst – Unterricht, für den sie nicht ausreichend qualifiziert sind durch solchen, wo sie es sind. Hier wird mangelnde Qualifikation nicht beklagt sondern ein pragmatischer Weg gegangen. Die anderen – wir bezeichnen sie gern als fachnah statt fachfremd – nehmen die Aufgabe gern auf sich. Und sie beklagen sich nicht, sondern suchen nach Möglichkeiten: Fortbildungen, kollegiale Hilfe, Inanspruchnahme des Fachberaters oder der Fachberaterin… Die hätten natürlich gern noch viel mehr – und sagen das auch.“

Redaktion Grundschule Musik: Die Forderung nach Angleichung der Vergütung von Musiklehrkräften an Grundschulen und weiterführenden Schulen erscheint geradezu als Forderung nach einem Systemwechsel, da es sicher unmöglich sein wird, einzig das Gehalt einer Gruppe Fachlehrer zu erhöhen. Würden Sie in ein Gespräch mit anderen Fachverbänden treten und auf breiter Basis für den Wandel eintreten, um den „personellen [und somit Bildungs-]Mangel“ im Fach Musik zu beheben?

Georg Biegholdt: „Auf der einen Seite haben Sie sicher recht und die in einigen Bundesländern inzwischen umgesetzte finanzielle Gleichstellung aller Lehrkräfte unabhängig von der Schulart ist sicher ein Weg in die richtige Richtung (wenn auch aktuell vorwiegend vom Mangel diktiert). Allerdings dürfte dieses Thema als globales Anliegen bei Gewerkschaft und Lehrerverbänden besser aufgehoben sein, als bei den einzelnen Fachverbänden.

Bei den MusiklehrerInnen ist das aber noch einmal etwas Besonderes: Viele von ihnen studieren an denselben Musikhochschulen, bei denselben Lehrpersonen, im selben Umfang. Warum sollten sie sich unter diesen Voraussetzungen für die Grundschule entscheiden, wenn man dort deutlich schlechter bezahlt wird?“

Redaktion Grundschule Musik: Wie stark berührt Sie das gesamte Thema persönlich, unabhängig der Verbandsarbeit?

Georg Biegholdt: „Ich habe über 20 Jahre als Musiklehrer in der Grundschule gearbeitet und möchte diese Zeit nicht missen. Ich war immer wieder erstaunt, auf welch hohem Niveau man mit Kindern in der Grundschule singen, tanzen, musizieren oder sich über Musik verständigen kann. Das ging aber nur, weil ich mich herausgefordert fühlte, etwas aus dem Musikunterricht zu machen, was weit über die eigenen Erfahrungen als Schüler und das Studium hinausging. Ich fühlte mich als Berufsanfänger mit Studium nicht besonders gut auf den Musikunterricht vorbereitet, wie das ohne gehen soll, kann ich mir gar nicht vorstellen. Und ganz unabhängig von der Verbandsarbeit kann ich mich dazu auch nicht wirklich äußern: Die mache ich ja gerade, weil es mir ein persönliches Anliegen ist den Musikunterricht zu befördern, zu verbessern, weiterzuentwickeln.“


Weiterführende Informationen

Werfen Sie selbst einen Blick in das Positionspapier des BMU

Der BMU lädt zum 5. Bundeskongress im Herbst 2020

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